Piano, Piano

Ich bin dabei, mich auf eine längere Zeit hier einzurichten. Die geschützte Umgebung und die fast auf Null reduzierte Verantwortung tun mir gut. Die Atmosphäre im Zimmer hat sich nochmals gedreht. Die Alte frisst mir nunmehr aus der Hand.
Wirklich eine komische Geschichte. Erst der Versuch, mich sofort zu okkupieren und zum Zuhör- und Mitleidssklaven zu machen und nachdem ich mich dem verweigerte in rückhaltlose Bewunderung auszubrechen. Das muß ich mir für draußen merken.
Die erste Stunde Tanztherapie liegt hinter mir. Ich hatte den kompletten Horror erwartet, aber das ist zunächst nichts anderes als die Aufwärmübungen aus dem Schauspielunterricht.
Ich bekomme wieder meine altbekannten Ausbrüche von Energie. Sehr verhalten, kein Vergleich mit früheren Zeiten. Nach 1-2 Stunden Wohlgefühl und Flow bin ich dann todmüde und muß schlafen. Es ist verrückt, gegen viele Leute hier, vor allem die Frauen, bin ich ein Ausbund von Frohsinn und Bestimmtheit. Die Grundhaltung hier ist Jammern und Klagen: über das Essen (wtf?), unwirksame Medikamente, das Eingeschlossensein und das eine oder andere private Ungemach. Die Jüngste – natürlich eine Anorektikerin – sperrt sich mit Händen und Füßen gegen jegliche Behandlung, eine der Ältesten, meine Zimmergefährtin, läßt sich tränenreich in ein Meer von Leiden und Todeswünschen fallen. Die Standardantwort auf die gern gestellte Frage: „Wie geht es dir heute?“ ist „Schlecht, sehr schlecht.“
Die Männer sind eher wortkarger. Da hört man nur um drei Ecken: Der und der hatte wieder einen schweren Anfall. oder Ich kann mich einfach noch nicht konzentrieren. oder einer versucht mit Macht, das Zittern seiner Hände zu verbergen und sieht extrem runtergekommen aus. In dieser Ecke fühle ich mich wesentlich besser aufgehoben. Vielleicht ist es auch mein Unvermögen, Schwäche zu zeigen und mich fallen zu lassen.