Urlaub vom Kommiss

Gestern vormittag habe ich dann aufgegeben. Ich hatte beim Frühstück einen Mitpatienten umgerannt, der mit der Kaffeetasse unterwegs war. Dann saß ich auf Krawall gebürstet in der Musiktherapie und pöbelte den Therapeuten, zu meinem Hörerlebnis und diesbezügliche Gefühlen befragt, an, wie er so blöde Fahrstuhlmusik spielen könne.
Das alles wurde nur durch einen morgendlichen Impuls ausgelöst. Zackzack! Fünf vor acht vorm Schwimmbad stehen, denn nur in der ersten Viertelstunde ist so etwas wie Schwimmen möglich. Vorher rechtzeitig wachwerden, Zähne putzen, kämmen, provisorisch anziehen, Kaffee trinken, ein paar Cornflakes essen, das Frühstück auf einem Teller sichern, das Ei unters Kopfkissen packen, damit es warm bleibt und los gehts. Doch dann verspätet sich der Bademeister, der das Bad um acht Uhr öffnet oder das Adipositas-Geschwader hat den Badeanzug schon drunter und popelt sich nicht noch minutenlang vor dem Spind in die Plastikpelle und mir bleiben nur zehn Bahnen allein, bevor es eng wird. Ist es das wert?
Wie ein kleiner Zinnsoldat rase ich dann auch durch den Rest des Tages. Zackzack! Essen! Telefonieren! Mittagsruhe! Separates Plätzchen suchen!
Meine Zimmernachbarin akzeptiert zwar, daß ich in Ruhe gelassen werden will, aber es geht ihr langsam besser. Was heißt, sie bricht in endlose Redeströme aus. 10 Jahre Psychiatrieerfahrung in Berlin möchten weitergegeben werden. Es nervt mich. Sie versteht keinen diskreten Hinweis, wie ins Buch schauen, nur nebenbei „Hm“ murmeln. Ich fühle mich noch immer unwohl, wenn sie im Zimmer ist, auch wenn sie nun nur liest.
Aber ich bin mit meinem Entschluß, dem kleinen Zinnsoldaten Urlaub vom Kommiss zu geben, wesentlich dünnhäutiger und empfindsamer geworden. Ich friere, bin müde und grundlos leicht traurig, möchte mich am liebsten in meine Decken einwickeln und lesen. Sie stört mich dabei, auch wenn sie nichts dafür kann.