Slow Down

Heute gegen Morgen kam endlich der Moment der Entspannung. Die Muskeln lockerten sich, der Kiefer hörte auf zu schmerzen und das innere Vibrato ließ nach.
Ich schlief wie tot und hörte nicht einmal das Wecken, um zehn Minuten später wie ein angeschossenes Reh aus meinem Bett zu taumeln. Die Visite war früh angesetzt, Frühstück gab es noch eher und ich wollte endlich morgens die Schwimmzeit nutzen, um mich überhaupt etwas zu bewegen.
Im kleinen Schwimmbecken tummelten sich dicke Frauen unterschiedlicher Altersstufen. Ich fragte den Schwimmmeister, ob er eine Auge auf mich haben könnte, weil ich Angst hatte, wieder einen dieser Schwindelanfälle zu bekommen.
Erso: Nehmse einfach den Hintern runter, dann brauchense keine Angst zu haben.
Ichso: Wie soll denn das gehen?
Erso: Na kiekense ma: Die laufen alle übern Boden und machen so Armbewegungen wie beim Brustschwimmen.
Ichso: omg! Ich will Schwimmen!
Er mustert meinen Sportbadeanzug, die Chlorbrille und die Badekappe: Wennse Profi sind, würdick da nicht reingehen. Da verschreckense nur die andern.
Ich hätte auf ihn hören sollen. Ich versuchte, mich durch die Gänseherde zu schlängeln, der Schwindel ließ mich in Ruhe.
Nach ein paar Bahnen winkte mich der Schwimmmeister wieder ran: Dit könnse heute nich machen, dit sind allet Rheumatikerinnen, die haben panische Angst, dasse gerempelt werden, dit tut denen nämlich richtich weh.
Ich schwamm weiter und achtete peinlich darauf, niemanden zu berühren oder auch nur zu nahe zu kommen, mit dem Ergebnis, da ich fast auf der Stelle trieb, weil vor mir und hinter mir die dicken Frauen mit rudernden Armbewegungen herumwatschelten. Am Ende der Bahn verschnauften sie immer ausgiebig und schnatterten.
Nach ein paar anklagenden „Mobbing!!!“-Blicken stieg ich aus dem Becken.
Der Bademeister winkte mich heran: Kommse in der Woche und dann um achte, nich um neun, da schlafen die noch, da könnse dann richtich durchziehn.

Übrigens, die Hexe in meinem Zimmer ist minder amüsiert, weil sie gebeten wurde, mich in Ruhe zu lassen. Ich wäre in einer Art Schweigekur wie im Kloster. Das mußte sie wohl oder übel verstehen, denn auf ihrem Nachttisch steht eine kleine Ikone. Nun fehlt ihr jegliches Publikum, weil sich auch draußen auf dem Gang niemand mit ihr beschäftigen will.
Außerdem muß sie von nun an ihren Besuch in einem der Konversationszimmer empfangen. Das heißt, sie blockiert nicht mehr stundenlang das Zimmer und kann nicht im Bett Audienz geben, sich von ihrem Sohn (einem duschverweigernden Fettkloß) Abendbrot reichen und ihrer Freundin vorlesen und „Trost spenden“ lassen.
Ich konnte heute ungestört dösen und schlafen. Wunderbar. Aber die Atmosphäre ist nachhaltig gestört, ich habe mir angewöhnt, sie wie Luft zu behandeln und schaltete vorhin versehentlich das Licht aus, als ich aus dem Zimmer ging, obwohl sie auf dem Bett saß und las… Aber ich habe mich für meine Unachtsamkeit entschuldigt.