Master and Servant

Mir schießt gerade etwas durch den Kopf. Ich sage es es einfach, es klingt so komisch, weil es garnicht zum Thema zu passen scheint. DU KANNST NICHT ZWEI KAISERN DIENEN. Ich weiß nicht, warum ich darauf komme.
In dieser Nacht hatten wir bereits so viel gestritten und geredet, daß die Gedanken verschwammen, der Widerstand schlafen gegangen war und die gut behüteten Tore des Unbewußten aufschwangen.
Warum? Warum dienst du entweder deinem Ego oder meinem? Was ist das für ein Schwachsinn? Warum geht es immer um dienen? Warum ist einer immer der Herr, der andere der Sklave? Geht es nicht von gleich zu gleich?

Das Alien bin ich

Der Rückschlag war heftig. Meine Aufmerksamkeitsspanne beträgt wiederum nur eine Stunde, ich bin aufgedreht und todmüde zugleich. Bei meinen Trainingsausflügen in die Welt bin ich mit meinen Systemen, in die ich zurückkehre, kollidiert. in statu quo res erant ante bellum Meine Umgebung hat meinen inneren Prozeß nicht mitvollzogen – wie auch.
Der einzige Mensch, der ohne Probleme meine Veränderung akzeptiert, ist meine Tochter. Vielleicht hilft es ihr beim Gang ins Erwachsensein. Andere begrüßen meine äußere Gesundung, finden aber die innere bedrohlich. Sie hatten sich mit mir als depressiver Person, durch die sie quasi hindurchgehen konnten, angefreundet. Auch ich merke, daß ich meine alte Rolle nicht mehr spielen kann, aber in mancher Hinsicht noch kein Gefühl für meine neue Rolle habe.
Während ich im Privatleben offen mit meiner Erkrankung umgegangen bin, habe ich sie im beruflichen Umfeld weitestgehend verschwiegen. Das hat den Vorteil, daß Klatsch und Spekulation von mir nicht noch zusätzlich genährt wurden. Es hat den Nachteil, daß alle erwarten, daß ich funktioniere und reagiere wie vorher, nur fitter und belastbarer, wegen des langen Urlaubs, den ich vorgeblich hatte.
Es gibt Arbeitspartner, mit denen ich mich ohnehin gut verstehe, bei denen wird eine Veränderung höchstens ein „aha!“ oder „endlich!“ auslösen und es gibt Leute, denen ich meine Aufmerksamkeit gerade bockig verweigere, weil sie schon wieder quengelnd an meinem Rockzipfel zerren.
Ich habe beschlossen, mit den selektiven, individuellen Ausreden für meinen dreimonatigen Arbeitsausfall aufzuhören. Ich werde meinen Klinikaufenthalt von nun ab offen ansprechen, wenn auch ohne Details. Wer dann mit mir nichts mehr zu tun haben will, soll gehen.

Bagatellschäden

Die Ängste wegen meines Hirnausfalls haben sich wieder verflüchtigt. Die Ärzte bezweifelten, daß mir ein paar Synapsen durchgeschmort wären und tippten eher auf unterschwellige Ablehnung. Ich freue mich schon darauf, wenn ich im Job anfange, ein Gespräch unterschwellig abzulehnen.
Der Zeitpunkt der Rückkehr ist mittlerweile sichtbar. Nächste Woche Freitag werde ich meine gesammelten Klamotten packen, ein paar mir liebgewordene Bilder unter den Arm klemmen und in die Homebase zurückkehren.
Die durcheinanderschwirrenden Details der Zukunftsperspektive fahren aufeineinander zu und fokussieren sich. Was ich sehe, ist zum Teil unabwendbar und nicht sehr erfreulich. Aber ein kleiner Trampelpfad auf der Wiese des Lebens ist allemal besser als der ausgefahrene Hohlweg, den ich in den letzten Jahren benutzte.
Natürlich kratzt es mich, wenn ich hier gesagt bekomme: Sie wissen nicht, was Sie wollen. Denn im Grunde Hirns, Herzens und Bauchs weiß ich es. Spüren, wo der Wind herkommt, Segel setzen und schauen, was auf der anderen Seite des Ozeans ist. Daß ich Salzwasser spucken und fluchen werde, daß ich auch die letzte brackige Neige im Wasserfaß trinken und Momente haben werde, in denen ich inständig hoffe, daß da auf der anderen Seite überhaupt etwas ist, das ist inklusive. Aber das ist das Leben. Ich werde mir die Erlaubnis dazu selbst erteilen.

Invalid

Die Sonne ist zurückgekehrt. Wenn der Wecker klingelt, ist es sogar schon eine Andeutung von hell. Ich habe meinen ersten geschäftlichen Gesprächstermin in knapp 3 Wochen. Höchste Zeit also, daß der Hypochonder, der mit ein paar anderen Chaoten meine innere WG teilt, nachhaltig Aufmerksamkeit fordert.
Die Drehschwindelanfälle sind Bestandteil meines Lebens geworden. Wenn ich seitlich in Richtung Nachttisch greife, schräg aufstehe oder mich auch nur einfach im Bett umdrehe, ist mein Hirn im Schleudergang. Dazu habe ich mitunter ein taubes Druckgefühl auf den Ohren, manchmal Tinnitus auf einem. Stehe ich mit geschlossenen Augen auf beiden Beinen, fange ich an zu schwanken, auf einem Bein zu stehen geht gar nicht. Es wird also höchste Zeit, diese Übungen zu machen, die die Innenohrsteinchen oder was auch immer wieder an den richtigen Platz rücken.
Manchmal bedauere ich mich, dieses arme kranke Wesen, manchmal bin ich fest entschlossen, diese brachialen Symptome mit der lächerlichen, gutartigen Ursache einfach zu ignorieren. Schließlich bin ich auch um eine langwierige Rückenmalaise herumgekommen, indem ich einfach vergessen habe, daß eine Bandscheibe auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist.
Die zweite Nacht zu Hause war sehr ok. Wir waren im Kino und siehe da, es klappte. Obwohl der Saal bis auf den letzten Platz ausverkauft war, obwohl wir einzeln saßen (mitunter hatte ich in den letzen Wochen ein Problem, irgendwo in einer Menschenmenge allein gelassen zu werden), obwohl scheinbar Dieter Hallervorden mit einer Frau neben mir saß, jeden Gag noch mal wiederholte und Kommentare abgab, als säße er vor dem Fernseher – ich amüsierte mich vortrefflich.
Der Tiefschlag kam am Sonntagmorgen. Ich saß mit dem Gefährten und zwei anderen Leuten, die mir nur flüchtig bekannt waren, in einer Konditorei am Rüdesheimer Platz. Unser Gesprächsthema war unverfänglich. Gelegentliche Treffen zu mentalen Selbstentwicklung, die Klammer sei das gemeinsam absolvierte Training. Nach einer halben Stunde Gespräch / Plauderei / Konversation tauchte ich immer mehr weg. Ich muß mit schafsdämlichem Gesichtsausdruck an die Decke gestarrt haben, als mich die anderen fragten, ob irgendetwas wäre. Ich erklärte mich kurz: Konzentrationsprobleme wegen Burnout, auf Urlaub aus der Klinik und das Gespräch ging weiter und mir wurde bewußt, warum ich weggetaucht war. Ich verstand zwar die Sätze, die gesagt wurden, konnte aber Rede und Gegenrede in keinen Zusammenhang bringen und damit dem Gespräch nicht folgen. Manchmal schnappte ich ein Wort oder einen Satz auf, zu dem ich etwas sagen konnte. Das war dann recht fundiert und brilliant, aber völlig aus dem Zusammenhang gerissen.
Wie eine Großmutter, die am Tisch immer mal dazwischenkräht, absurde Sentenzen zum Thema äußert, aber nichts mehr mitbekommt.
Als mir das klar wurde, packte ich fluchtartig meine Sachen, ließ mir ein Taxi rufen und fuhr nach Hause. Dort legte ich mich ins heiße Badewasser, bis mein Zittern nachließ und schlief stundenlang, bis der Gefährte zurückkam.
Ich hatte Glück, daß mir das in einem völlig unverfänglichen Zusammenhang passierte. Wenn das ein beruflicher Termin gewesen wäre…
Ich war in Gruppen nie eine gute Gesprächsteilnehmerin. Entweder ich rede, höre zu oder leite das Gespräch. Konversation und Small Talk sind mir zuwider, weil ich dazu unfähig bin. Vorlesungen konnte ich selten folgen, weil mir die eigenen Gedanken dazwischenhauten. Ich habe schon immer lieber gelesen oder zugesehen. Daß sich diese kleinen Schrullen in ein solches Defizit ausweiten, erschreckt mich. Ich hoffe, es bleibt ein einmaliges Ereignis. – Obwohl es mir zu Weihnachten, beim Besuch meiner Eltern ähnlich ergangen war, aber da hatte ich die Anspannung als Ursache gesehen.

Meine Mitbewohnerin ist derzeit etwas spooky. Sie hat an der Geschichte mit der geplatzten Hochzeit noch ziemlich zu knabbern, zumal der Typ wieder aufgetaucht ist und sie zurückwill. Sie keift Leute, die sie nicht mag, laut an und kompensiert den Rest mit ruppigem Füttern und Versorgen von Menschen , die sie mag. Von ihrem Übernachtungstraining zu Hause reiste sie mit drei Päckchen Schweineschmalz an, bei deren Anblick ich betete, daß ich sie nicht aufessen muß (extra für dich mitgebracht!). Heute Nachmittag backt sie zwei Käsekuchen: „Einer nur für uns beide!“ Beim Frühstück stellte sie eine Flasche zuckerfreien Karamellsirup auf den Tisch: „Für unseren Kaffee.“ Ich habe einmal im Leben bei Starbucks Milchkaffee mit Karamellsirup getrunken und das reichte dann auch. Nun auch noch das reine zuckerfreie Chemieprodukt, das angekokelt schmeckt. Urgs.
Zudem hinter läßt sie überall Blutspuren. Auf der Klobrille, auf einem Handtuch, das auf dem unbenutzten Stapel liegt – und das, obwohl sie derzeit nicht menstruiert. Ich werde wohl nach Wundmalen Ausschau halten müssen.

Widerstand

war das Thema der Maltherapie. Ich bin sehr froh, daß ich mich mittlerweile auf mein Assoziationsorgan verlassen kann. Ich muß nichts mehr malen wollen und trotzdem entsteht am Ende ein Bild.
Warum mir bei Widerstand das Schlußbild von Spurlos verschwunden (nicht mit dem unsäglichen Hollywoodremake zu verwechseln) einfiel, weiß ich nicht. Es war ein Gedankenblitz. Die POV des erwachenden Helden, die dunkle Leinwand, das heftige Atmen und sinnlose Kämpfen mit dem geschlossenen, erdbeschwerten Sarg auf der Tonspur und die Erkenntnis, daß die Lösung des Film alle Annahmen vorher bestätigt: der Mörder begräbt seine Opfer bei lebendigem Leib.
Ich habe ein wissenschaftliches Schaubild gemalt. Sonne, blauer Himmel, Blumen als Nebensache nur angedeutet. Dann einen hiesigen Bodenhorizont – lehmige, sandige Erdschichten. Dabei auch einen Schnitt durch einen Sarg, in dem eine Gestalt zusammengerollt liegt. Ich weiß nicht, warum ich die Gestalt nicht habe kämpfen lassen. Letztlich ist sie mir entspannt schlafend entstanden.
Ich hatte – auch um die Mitpatienten nicht zu verschrecken – sofort eine verdächtig eloquente Erklärung parat. Ich referierte über die Angst der viktorianischen Epoche, lebendig begraben zu werden. Über ihren gesellschaftlichen Kanon der unbedingten Affektbeherrschung. Über die Intimität des Heims, das Entspanntheit im Rahmen des Schicklichen ermöglichte. Was das Schickliche war: das komplette Ausblenden von Sexualität.
Über diesem Sermon vergaß ich wissentlich, über mich zu sprechen. Daß Haltung bewahren für mich ein hoher Wert ist. Daß ich Gefühle nicht gern zeige. Daß ich auf der Suche nach Intimität bin, sie aber in meinem jetzigen Heim nicht finde und daß ich dort nur unter dem Preis der kompletten Ausblendung meiner Sexualität geduldet bin. Über meine Rückzüge, die zwar Entspannung, aber auch Isolation bringen, von der ich befürchte, daß es einen Moment gibt, in dem ich nicht mehr zurückkommen kann.

Entente Cordiale

Ab Mitte 60 wird Einsamkeit und ihre Auswirkungen zum Indikator für die Einlieferung. Einige, die an der Einsamkeit kranken, haben früher ein unabhängiges Leben geführt. Warum sich die Bedürfnisse plötzlich ändern, kann ich mir nicht erklären. Vielleicht ändern sich die Bedürfnisse auch garnicht. Zugehörigkeit gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen und kann auf viele Weisen erfüllt werden. Affen leben in Horden, spielen miteinander und lausen sich. Keiner von denen wäre so wahnsinning, allein unterwegs zu sein, auch wenn die Alten und die Anführer gern separat sitzen oder liegen.
Wenn das Berufsleben weg ist, wird sichtbar, wie viele Menschen dann noch um einen herum bleiben. Viele Kompensationsmechanismen funktionieren nicht mehr. Das Geld und die Beweglichkeit werden oft knapper, bestimmte Kontaktmöglichkeiten wie Reisen, Kneipenaufenthalte, Kunstgenuß können nicht mehr in dem Maße wie früher genutzt werden. Aber die verfügbare Zeit ist endlos, die Ansprüche an andere Menschen hoch. Viele leiden trotz ihrer Einsamkeitsängste unter dem Unvermögen, mit einem Lebenspartner auszukommen und klammern sich um so mehr an Freunde, die das aber nicht immer goutieren.
Frauen, die sich allein der Sorge um ihre Nächsten verschrieben hatten, können hingegen deren Selbständigkeit, Weggang oder Tod nicht verwinden. Beide Extreme, Symbiose und Distanz machen Probleme.

Die Ärzte sorgen sich noch immer um meine mentalen Achterbahnfahrten, die beginnen, wenn ich mit der Außenwelt in Berührung komme. Vor der ersten Übernachtung zu Hause begannen wieder Schwindelanfälle, nach dieser Nacht rutschte ich erst einmal für zwölf Stunden völlig zusammen. Der eigentliche Abend verlief hingegen völlig normal. Wir kochten zusammen, bastelten etwas am Computer und gingen schlafen.
Ich habe gelernt, meine Körpersignale ernst zu nehmen. Nicht so ernst wie ein Hypochonder, der glaubt, ein exotisches Leiden zu haben, sondern wie Telegramme über mein Befinden unter dem Panzer der Konditionierung. Was daraus folgt, weiß ich noch nicht. Ich bekomme immer wieder den Ratschlag, noch keine Entscheidungen zu fällen.
Die Entscheidungen fallen ohnehin von allein. Ich bin seit zwei Monaten nicht mehr direkt im Büro erreichbar, sondern über Funk. Im Privatleben bin ich wieder die Person, die ich war, bevor ich krank wurde. Neugierig, selbstbewußt und entscheidungsfreudig.

Sandkastenspiele

In der Ergotherapie beschäftige ich mich noch immer mit der Alte-Damen-Kunst Seidenmalerei. Dort besteht meine Welt vorwiegend aus beruhigenden Quadraten. Die zwei Kissen, die illustrieren, was passiert, wenn Pacman in ein Tetris-Spiel gerät sind nun fertig. Als nächstes ist ein Schal dran, der aus einer Variation eines 7-cm-Rasters besteht, ausgeführt in zartem Lachsrosa und Silbergrau.
Ich habe Computerkunst immer gemocht. Plotterzeichnungen aus den 60ern, die die Schönheit der Fraktalen ausdrückten. Leider sind die meisten dieser Bilder für mich unerschwinglich.
In der Maltherapie dagegen, wo es mir immer mehr gelingt, den Kopf auszuschalten und das Unbewußte sprechen zu lassen, malte ich konzentrische Kreise. Zunächst glühend und intensiv Rot, Orange und Gelb, darüber aber unruhige Wisch- und Mischvariationen davon, später noch eine isolierte schwarz-weiß-Variante desselben Musters in irgendeiner Ecke de Papierformats.

Edit: Ich habe den Titel geändert. Mit einem Mitglied meiner kleinen Allianz, das sich schon seit geraumer Zeit wieder draußen durchschlägt, korrespondiere ich in Form von sms-Funksprüchen: +++erde an mars+++ +++mars an erde+++
und dann fiel mir Ray Bradbury ein.

Fourage

Heute gibt es Milchreis, sagten mir die freundlichen Küchendamen. Sie werden mir einen extra großen Teller hinstellen. Den brauche ich wohl heute auch…

Bei Neumond schweigen die Eulen

oder sie sind zu einem Wochenendausflug unterwegs.
Die letzte Nacht war anstrengend. Schon wieder diese Mischung aus Müdigkeit und Nervosität. Immer wenn ich kurz vor dem Einschlafen war, zuckte mein rechter Fuß oder meine Blase war der Meinung, wir sollten unbedingt noch mal aufstehen. Als dann noch diverse Gedankenräder anfingen, sich in Bewegung zu setzen und endlos unter leisem Quietschen wiederholten: Was wird passieren? Was darfst du? Was sollst du? und als zu guterletzt ein kleiner, aber sehr reizbarer Drache in meinem Magen zu randalieren begann, ungeniert Feuer spuckte und mit seinem Stachelschwanz peitschte, reichte es mir.
„Schnauze! Wenn ich will, dann tu ich. Von dürfen und sollen ist hier nicht die Rede.“, sagte ich stumm, aber vernehmlich zu meinem Fuß, den Gedankenrädern und dem Drachen und stand auf. Eine Schlaftablette und einen Kamillentee später war dann auch endlich Ruhe.

Ansonsten denke ich darüber nach, ob ein Gürteltier besser mit einem scheuen Rehbock, der vielleicht mal ein Einhorn war, spielen sollte oder mit mit einer klugen, coolen Schildkröte. Aber das muß das Gürteltier selbst entscheiden, auch auf die Gefahr hin, daß dann keiner mehr mit ihm spielen will.