Ab Mitte 60 wird Einsamkeit und ihre Auswirkungen zum Indikator für die Einlieferung. Einige, die an der Einsamkeit kranken, haben früher ein unabhängiges Leben geführt. Warum sich die Bedürfnisse plötzlich ändern, kann ich mir nicht erklären. Vielleicht ändern sich die Bedürfnisse auch garnicht. Zugehörigkeit gehört zu den menschlichen Grundbedürfnissen und kann auf viele Weisen erfüllt werden. Affen leben in Horden, spielen miteinander und lausen sich. Keiner von denen wäre so wahnsinning, allein unterwegs zu sein, auch wenn die Alten und die Anführer gern separat sitzen oder liegen.
Wenn das Berufsleben weg ist, wird sichtbar, wie viele Menschen dann noch um einen herum bleiben. Viele Kompensationsmechanismen funktionieren nicht mehr. Das Geld und die Beweglichkeit werden oft knapper, bestimmte Kontaktmöglichkeiten wie Reisen, Kneipenaufenthalte, Kunstgenuß können nicht mehr in dem Maße wie früher genutzt werden. Aber die verfügbare Zeit ist endlos, die Ansprüche an andere Menschen hoch. Viele leiden trotz ihrer Einsamkeitsängste unter dem Unvermögen, mit einem Lebenspartner auszukommen und klammern sich um so mehr an Freunde, die das aber nicht immer goutieren.
Frauen, die sich allein der Sorge um ihre Nächsten verschrieben hatten, können hingegen deren Selbständigkeit, Weggang oder Tod nicht verwinden. Beide Extreme, Symbiose und Distanz machen Probleme.
Die Ärzte sorgen sich noch immer um meine mentalen Achterbahnfahrten, die beginnen, wenn ich mit der Außenwelt in Berührung komme. Vor der ersten Übernachtung zu Hause begannen wieder Schwindelanfälle, nach dieser Nacht rutschte ich erst einmal für zwölf Stunden völlig zusammen. Der eigentliche Abend verlief hingegen völlig normal. Wir kochten zusammen, bastelten etwas am Computer und gingen schlafen.
Ich habe gelernt, meine Körpersignale ernst zu nehmen. Nicht so ernst wie ein Hypochonder, der glaubt, ein exotisches Leiden zu haben, sondern wie Telegramme über mein Befinden unter dem Panzer der Konditionierung. Was daraus folgt, weiß ich noch nicht. Ich bekomme immer wieder den Ratschlag, noch keine Entscheidungen zu fällen.
Die Entscheidungen fallen ohnehin von allein. Ich bin seit zwei Monaten nicht mehr direkt im Büro erreichbar, sondern über Funk. Im Privatleben bin ich wieder die Person, die ich war, bevor ich krank wurde. Neugierig, selbstbewußt und entscheidungsfreudig.