Too much information

Dunstschleier, Pastellwolken und die Sonne wie ein Scheinwerfer dazu. Ein Weihnachtsvortag, wie er im Buche steht.
Ich schaffe es, ein paar kleine Geschenke zusammenzubekommen. Dieses Jahr bin ich am Nehmen und das habe ich mir auch verdient.
Heute habe ich fünf Minuten mit meiner Zimmergenossin am Tisch gesessen, bis sie es nicht mehr aushielt – obwohl ich Briefe schrieb – und mir ihre Lebensgeschichte servierte. Ich hörte widerstrebend zu. Ich wollte es nicht wissen. Ich hasse Vertraulichkeiten, die nur darauf basieren, das man zusammen einen Raum teilt.
Sie ist im Internet einem Typen aufgesessen, der sie verarscht und abgezockt hat. Die moderne Form von Heiratsschwindel. Ein geplatzter Hochzeitstermin, eine sinnlose Fruchtbarkeitsbehandlung, versenktes Geld und auf geheimnisvolle Art und Weise verschwundene Wertsachen haben einen tiefen Krater im Urvertrauen hinterlassen. Gratis bekam ich noch eine Information über einen Ex, der – nachdem sein Seitensprung aufflog – sich unter Hinterlassung einer Geschlechtskrankheit vom Acker machte, die Schuld an ihren Fruchtbarkeitsproblemen trüge und außerdem hätte sie hinterher zwei Jahre keinen Geschlechtsverkehr gehabt. Leider konnte ich mir nicht die Ohren zuhalten. Ich käme nie auf die Idee, jemandem so etwas zu erzählen, wenn ich nicht wirklich einen Draht zu ihm hätte und das dauert etwas.
Was sie von ihrer Mutter erzählt, bringt mich wieder darauf, daß ich das Gefühl habe, bei vielen Mitpatienten ist eigentlich nur die Hälfte des Übels in der Klapse.
Einer der Menschen aus meiner kleinen Allianz wies mich noch auf ein anderes Phänomen hin. Die Häufung schwer depressiver schwuler alter Männer. Die in totaler Einsamkeit sind und auf keinen grünen Zweig mehr kommen. In deren Nähe man die Frage: „Und was machst du Weihnachten?“ tunlichst nicht stellen sollte. Denn hier gibt es nicht einmal das Problem: „Wer nimmt dieses Jahr Opa?“ Die Zeiten ihrer Existenz als wilder Hirsch oder Tiger ist lange vorbei und nach ihnen kräht kein Hahn mehr.

Zusammenrücken

Nun habe ich doch Gesellschaft bekommen. Eine junge Frau von elefantenhaften Ausmaßen. Keine Ahnung, ob das krank oder verfressen ist. Jedenfalls ist ihr Aussehen weit entfernt von rund, drall und lecker.
Mein luzider Moment der ersten 20 Sekunden sagt mir: Aha, ein Opfer. Eine, die ihren Willen durchsetzt, indem sie andere so weit in Schuld setzt, daß Dritte zur Maßregelung hinzugezogen werden.
Ich kann mich irren. Vielleicht wehre ich nur die unerwünschte Gesellschaft ab.
IN den ersten fünf Minuten ihrer Anwesenheit in diesem Zimmer erfahre ich mehr, als ich wissen will. Sie telefoniert ununterbrochen. Nennt ihre Katzen Babies, entschuldigt sich bei ihrer Mutter für einen großen Fehler, den sie gemacht hat und redet über die Polizei, eine Anzeige wegen verschiedener Delikte gegen ihren Ex,ihre Zeugenaussage vor Gericht und ärztliche Untersuchungen deshalb. Er hätte wissen müssen, daß sie psychisch labil sei, meint sie und nennt seinen vollen Namen. Sie hofft, daß seine Wohnung und die seiner Schwester durchsucht würden, aber das müsse leider die Staatsanwaltschaft bestimmen.

Auf den Punkt

Die meisten Frauen hier sind c.u.v., sagt ein Mitpatient. chronisch unter vögelt. Wenn er nicht so ein Sensibelchen wäre und wenn ich nicht den gleichen Eindruck gewonnen hätte, müßte ich ihn m.a. – ein Machoarschloch – nennen.

News from Mars

Eine hellorangene Sonne steht vor stumpfgrauem Himmel hinter den froststarren alten Bäumen. Dann gewinnt sie langsam an Feuer und Kontur und steigt empor. Die Farben ändern sich nicht, es wird nicht heller.
Wenn ich in einer Höhle säße, froh, daß ich in der Nacht nicht erfroren bin und dann windet sich mit letzter Kraft ein erloschenes Feuer am Rand des Horizonts entlang, dann hätte ich auch alle trockenen Baumstämme um mich herum entzündet, um die Geister der Verstorbenen von mir fernzuhalten, meine Kinder und Kinderkinder in dem Feuerkreis um mich herum geschart, alle Vorräte aufgegessen und gehofft, daß diesmal noch nicht das Ende aller Zeiten gekommen ist.
Aber ich befinde mich in einer hotelähnlichen Klinik, ziehe drei Schichten PLastikkleidung übereinander, wickele meinen Schal bis zu den Ohren und laufe durch den Park. Die Kälte ist barbarisch. Ich versuche mir immer wieder einzureden, daß ich beim Skilaufen bin. So würde der Schnee auch unter den Skiern knirschen, die an einem solchen Tag das ganz harte Wachs, gut aufgebügelt, brauchen. So steif wären auch die Plastiksohlen der Langlaufschuhe. Aber ich hoppele wie ein verirrter Hase die Wege entlang. Meine Schritte haben nichts von diesem herrlichen, weit ausgreifenden Bewegungen auf den schmalen, langen Skiern mit Stahlkanten, assistiert von Armbewegungen, die die Lungen weiten.

Ich erfülle hier Aufgaben, die ich draußen mit einem Kübel beißendem Zynismus überschüttet hätte. Ich habe meinen Namen getanzt. (shame on me!) Ich habe mich als Tier gemalt. Meinen Wundschzustand, die schöne, rote Katze habe ich in die obere Ecke geklemmt. So wäre ich gern. Autark, schön, stolz. Ich würde gestreichelt und verwöhnt, wenn ich es wollte oder ich würde meiner Wege gehen. Ich würde auf dem Schrank liegen und alle beobachten und niemand könnte mich sehen. Ich könnte den ganzen Tag schlafen oder mein Fell pflegen, bis ich beschließe, Mäuse zu jagen.
Aber im Zentrum des Bildes habe ich meinen Istzustand aufgemalt. Ein Karpfen. Dünnhäutig, von der Umgebung extrem abhängig. Starr, wenn ihn Kälte umgibt, todgeweiht, wenn ihm die Wasserumgebung weggenommen wird. Nicht zu streicheln, kaum zu berühren. Stumm. IN der rechten unteren Ecke schwimmt der Fisch in seinem Glas. Immer in Bewegung, sinnlos rastlos. Er wird von allen angesehen, sieht alle und kann sich nicht mitteilen. Aber auch er ist autark. Er ist isoliert.

Kleine Mobilmachung

Ich toure wieder hoch. Noch verhalten und nicht stabil, aber es erinnert nur noch wenig an das angststarre, verheulte, zitternde Wesen, das ich vor einem Monat war.
Mein morgendlicher Lauf durch den Park erinnerte mich an Weihnachten vor 4 Jahren. So viel Spaß im Schnee möchte ich gern wieder einmal haben. Da ich mittlerweile auch wieder ein Gefühl für die Zukunft bekomme, ist das gar nicht mehr so fern, unerreichbar und abwegig.
Sicher werden Rückschläge kommen. Schließlich verkrieche ich mich hier. Die Welt draußen sieht anders aus. Ein paar Entscheidungen sind reif, zum Teil sind sie auch schon vorausgedacht und ich wollte mich nicht in einem völlig desolaten Zustand positionieren. Jetzt geht es bald darum, stark genug für die Verwirklichung zu sein. Ein Freund sagte vor ein paar Tagen zu mir: „Du hast nichts zu verlieren und damit bist du frei.“ – Er hat recht. Wobei ich weiß, daß Freiheit nicht immer bequem ist.
Nun zurück zu Realität. Morgen beginnt der erste Härtetest. Das zweite Bett in meinem Zimmer wird wieder belegt. Das sollte eigentlich heute schon passieren, aber dann verschob es sich um einen Tag.
Ich bin gespannt, wie ich reagiere. Hoffentlich ist sie nur depressiv, denn mit Psychotikern kann ich garnicht. (So ein armes Mädel ist hier. Sie steht immer in einem unsichtbaren Lehrerzimmer und rechtfertigt sich. Morgens fragt sie als erstes, ob die Welt auch nicht untergegangen ist und ihre Eltern noch leben.) Aber schlimmer als die aufmerksamkeitsheischende Heulboje kann kaum jemand sein. Btw. die alte Dame läßt sich jetzt draußen in den Aufenthaltsräumen trösten, nachdem sie eine zweite alte Dame ins Zimmer bekommen hat, die komplett echolos ist und immer nur den Kopf schüttelt und sagt: „Weiss nicht, kann ich nicht, was soll ich denn nun machen…“

Skating Away

Auch wenn die Schilderungen meiner Dünnhäutigkeit erschrecken mögen, ich fühle mich wohl und betrachte meinen Aufenthalt hier als großes Geschenk. Derzeit koste ich meine Kasse so viel wie ein Chemo-Patient.
Heute leistete ich mir den Luxus, morgens zwei Stunden vom Fenster aus zuzusehen, wie der Schloßpark langsam zuschneite. Vor von mir verwandelte sich die Caspar-David-Friedrich-Landschaft in ein Breughel-Gemälde und links, rechts und hinter mir versank die Stadt im Verkehrchaos. Ich bekam davon nichts mit.
Ich lande derzeit weich und sinke in immer tiefere Entspannung. Endlich! Zwei Jahre lang war das mit vielen Tränen verbunden, nun beginne ich endlich wieder zu lachen. Vielleicht ist es auch meine große innere Uhr. Die ganz für mich reservierte Urlaubszeit rückt näher, wie jedes Jahr, in der ich auf keinen Anruf reagieren muß. Ich habe die komischsten Übersprungreaktionen, bin albern, schadenfreudig und plappere überall dazwischen wie eine Schulgöre. Um die Energie zu kanalisieren, stelle ich mich nach dem Dunkelwerden in die Lehrküche und backe Plätzchen. Schokokekse, Schwarz-Weiß-Gebäck, Vanillekipferl. Sie sind ein gutes Bestechungsgeschenk für verägerte oder genervte Mitpatienten und Schwestern – wobei das noch im scherzhaften Bereich bleibt. Die Putzfrauen freuen sich wie die Schneekönige über ihre Keksteller. Manchmal spendieren ihnen die Schwestern noch einen Kaffee. Ich möchte nicht wissen, wie schlecht sie bezahlt werden.

Der Zauberberg ist fast paritätisch mit Männern und Frauen belegt. Trotzdem wird kaum geflirtet. Die jüngeren sehen sich manchmal mit großen Augen an und hocken lange zusammen, aber mehr Nähe verbietet die ständige Beobachtung. Auch ich habe kein Interesse. Außerdem dominiert momentan sowieso meine männliche Seite, da brauche ich Kumpels zum Pferdestehlen und mache einen großen Bogen um die Heulmimis. Der schwule ältere Herr, der mich so gern zum Klinikvamp aufbauen möchte, hat schlechte Karten. Dabei sind in den unteren Jahrgängen bis hin in meine Atersstufe richtige Schnuckelchen darunter. Wahrscheinlich vor allem durch die Medikamente sind alle recht abgetörnt. Die Männer zweifeln an ihrer Potenz und die Frauen schaffen es gerade mal, sich etwas ordentliches anzuziehen.

Der Schnee der vergangenen Jahre

Ich sitze fast jeden Abend in einem der zwei Sessel, die diese Klinik zu bieten hat. Er steht in einem entlegenen Aufenthaltsraum, den ich mit einem Bruder im Geiste gekapert habe. Für alle anderen, die immer mal vorbeischiffen, gibt es harte Bedingungen. Oberstes Gebot ist hier: Schnauze halten! Hier ist kein Debattierclub. Hier wird nicht über Krankheit gesprochen. Hier wird gelesen, an Weihnachtsgeschenken gebastelt und im Fernsehen läuft entweder der beste Spielfilm des Abends (um diese Zeit leider in grauslich entstellten Schnittfassungen) oder Fußball. Am Abend wechseln wir manchmal nur ein, zwei Sätze. Das ist ein kleines zu Hause, das wegen des Redeverbots angenehm unter Frauenmangel leidet.
Ich bin noch immer allein in meinem Zimmer und fühle mich wohl. Die Heizung ist ausgefallen und die Temperaturen erreichen Grenzen, mit denen ich gerechnet hatte, wenn ich – statt mich einzuliefern – den Dezember auf Sardinien verbracht hätte. Nur hier gibt es leider keinen Kamin und keinen Garten mit Blick aufs stürmische Meer. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Wenn ich abends vor dem Fernseher sitze (ich bin endlich wieder mental in der Lage vollständige Filme zu sehen!), merke ich, welche Filme ich in den letzten Jahren verpaßt habe. Wunderbar verfrickelte Geschichten, in „Prestige“, visuelle und seelische Grenzgänge in „Unbreakable“, ungefesselte Phantasie in „Charlie und die Schokoladenfabrik“ oder das Eingeständnis, daß nur animierte Kinder-Schauspieler solche Abenteuer erleben können wie in „Polarexpress“.
Die Cineastin wird wieder wach, die Phantasie, in den hintersten Kerker meines Kopfes gesperrt, regt sich wieder.
Ich bin detailpusselig geworden. Meine Bilder sind nicht mehr brachiale Kreidezeichnungen mit auf Linie gebrachten Gegenständen sondern filigrane Bleistiftzeichnungen. Ich räume mein Zimmer pedantisch auf. Ich!

Unconditioal Surrender

Meine Sozies Ehrgeiz und Geltungsbedürfnis haben mich mal wieder sauber angesch… Vor einer knappen Woche warf ich mich in die Brust und war dabei, mit zwei Leuten ein Krippenspiel zu schreiben. Heute gebe ich auf. Nach einem nicht so schlechten Konzeptentwurf und ein paar Szenenausschnitten kam nichts mehr. Kein Wort. Zum einen war 1/3 der Mitstreiter dagegen, das Krippenspiel nichttraditionell zu machen (Geburt des Heilands im Görlitzer Park) zu anderen war ich nicht in der Lage, auch nur einen geraden Satz zu schreiben. Zum Glück darf ich in der Anstalt versagen. Was ich hiermit tue.
Coolen Text in den Sand gesetzt.
Coole Rolle für mich in die Tonne getreten.
Eine Menge heiße Luft erzeugt.
Danke, setzen.

Lieber wende ich mich den Glamourdickschen Büchern zu, die mich vor genau einer Woche per Amazon-Päckchen erreichten. Es tut gut, Freunde zu haben.

Schneekrümel

Eine Woche ohne Notizen. Was nicht heißt, daß es eine Woche ohne Ereignisse war.
Das Therapieprogramm ist mittlerweile fast vollständig, es fehlt nur noch die Gruppentherapie. Das Malen macht mir viel Spaß, dabei habe ich mich auch zum ersten Mal kaputt gespielt. Ein Plakat für die Weihnachtsfeier war erbeten und ich habe erst eine Bleistiftskizze, dann eine Farbskizze, weil ich die Farben noch nie benutzt hatte und dann eine Ausführung gemalt. Insgesamt 2 1/2 Stunden Arbeit. Nach einer Stunde mußte ich eine Pause einlegen, weil meine Konzentration völlig hinüber war. Der Rest war ohnehin dann Koloration und viel Detailarbeit, das arbeitete sich so ab. Aber Strukturen entwerfen oder erkennen, ist noch anstrengend bis unmöglich. Nach dieser Arbeit war ich völlig fertig. Ich zitterte und mir war übel. Nur das Pflichtbewußtsein brachte mich zum spazierengehen, weil ich das Ziel angeregt hatte und niemand anders es kannte. Abends fiel ich um acht Uhr ins Bett.
Ich war ruhebedürftig, aber auch überreizt, aufgedreht und brauchte dringend Entspannung. Doch ich löste nur die finale Konfrontation mit meiner Zimmernachbarin aus.
Es war schon einige Male und nicht nur mir passiert, daß sie durch andere, die sich nicht gut fühlten, den Impuls bekam, auch zu leiden und darin noch zu toppen. So eine negative Synergie kann die Hölle sein.
Ichso: Heute geht bei mir garnichts mehr, ich gehe schlafen, ich habe mich übernommen.
Sieso: (Leidensmine) Oh ja, ich gehe auch ins Bett, mir gehts garnicht gut.
Das Telefon klingelt. Sie hebt ab. Eine Freundin ist dran.
Sieso: Danke der Nachfrage! Ganz schlecht! … Ob ich das jemals wieder schaffe, bevor ich sterbe! … Es ist alles so schrecklich, ich weine ständig und mache alle Leute damit kaputt. … Dabei schenken mir alle nur Liebe und ich kann sie nicht entgegennehmen. … laberlaberlaber jammerjammerjammer
Obwohl sie sich wirklich Mühe gibt, denn Telefonate bestanden auf ihrer Seite bisher aus wortlosem Gewimmer, spielt mein Körper verrückt. Mein Herz beginnt zu rasen und ich habe das Gefühl, ich müßte mich auf der Stelle übergeben. Ich lege mein Buch beiseite, verlasse das Zimmer (Sieso: Störe ich dich? Ichso: Och nö, mir gehts nur nicht gut.) und trinke im Aufenthaltsraum erst einmal einen Kamillentee. Ein kurzer Blick ins Zimmer zeigt: Sie jammert immer noch ins Telefon. Ich schleiche mit hängenden Schultern im Bademantel den Gang auf und ab. Das fällt in dieser Anstalt auf, denn Zivilisation ist erste Gestörtenpflicht. Eine Schwester fragt mich, was los ist. Ichso: Blabla, zu viel gemacht, unruhig, aber erschöpf. Kann ich ein Beruhigungsmittel haben? – In meinem Kopf ist nur ein Gedanke: Schieß dich weg, sonst bringst du die Alte um und das an einem Tag, wo sie sich schon echt Mühe gibt. Die Schwester empfiehlt mir, mein Schlafmittel ein paar Stunden eher zu nehmen, was ich auch tue und wieder zu Bett gehe.
Das Telefonat ist nun beendet, ich komme langsam runter, betone vor ihr aber nochmals, daß ich mich entspannen müßte – für den Fall, daß sie das Gespräch mit mir weiterführen will. Langsam döse ich weg.
Die Schwester kommt. Ich werde wieder wach von der Action am Nebenbett. Bauchschmerzen, Wärmekissen. Dann ist Ruhe, das Licht ist aus, ich schlafe wieder ein. Action, sie rast zum Klo, um sich zu übergeben und weint im Bad. Ich bin wieder wach. Die Nachtschwester steht flüsternd an ihrem Bett und überlegt, was sie machen könnte. Das ganze wiederholt sich eine Stunde später noch einmal, natürlich gerade, als ich wieder eingeschlafen bin.
Ich schleiche den Rest der Nacht über den Flur und habe Mordgedanken.
Am nächsten Morgen bin ich so weit. Ich stelle bei der Visite de Arzt vor die Entscheidung: Sie oder ich. Wenn ich noch eine Nacht mit ihr verbringen muß, verlasse ich das Krankenhaus. Zum ersten Mal weine ich.
Die Reaktion ist prompt. Ich habe innerhalb einer Viertelstunde ein Zimmer in dem das zweite Bett leer ist.
Hier sitze ich nun den dritten Tag allein und bin glücklich. Ich sehe auf den dämmrigen Park, es regnet Hunde und Katzen, ab und zu mischen sich Schneeflocken darunter. Ich habe die zweite Nacht in Folge lange und tief schlafen können. Das verrückte an der Sache ist, daß ich vorher immer geadcht habe, mein Schlaf müßte so schlecht sein, ich müßte das aushalten, das sei eine Art Prüfung, wie sozial fähig ich sei. Tja.
Mit dem Beginn der zweiten Woche sortieren sich die Brüder und Schwestern im Geiste von den anderen. Ich kann weder mit den extrem ängstlichen Schwerdepressiven etwas anfangen, die längst aufgegeben haben zu kämpfen, noch mit den aggressiven Manikern, die der Meinung sind, alle anderen hätten ein Problem, nur sie nicht. Die zwei Stinker, die überhaupt nichts mehr merken, umschiffe ich weitläufig, ihnen beim Essen zuzusehen, ist genauso grauenvoll, wie in ihrer Gegenwart Luft zu holen.
Die Leader erkennen sich gegenseitig. Wir sind vier Leute, zwei Männer, zwei Frauen, Zwei Ärzte, ein Jurist, ein Geisteswissenschaftler. Offen, tolerant, ehrlich, an Heilung interessiert und im Rahmen der Krankheit relativ aktiv. Ich hoffe, diese kleine Allianz funktioniert noch eine Weile.

Flow

Gestern der zweite Lauf durch den Park. Diesmal eine halbe Stunde lang, bei strömendem kalten Regen. Es war gut, daß ich mich überwunden hatte. Ich kann Kälte wieder ertragen, Durchfrorensein und endlose Weite.
Im Moment schlafe ich sehr viel und setze Fett an. Das Mastprogramm läuft mit 4 Mahlzeiten in 12 Stunden. Da freie Auswahl ist, esse ich viel zu viel.
Der Versuch, zu arbeiten brachte mir nur Kopfschmerzen und Schwindelgefühle. Abwehr, nichts als Abwehr. Ich bin noch nicht so weit.