Die fast theatralische Tour

Jetzt bin ich also drin. Drin und doch nicht drin im Beckerschen Sinn. Das Patienten-WLAN ist zwar zu scannen, aber „funktioniert“ angeblich noch nicht. (Für wie blöd halten die mich eigentlich!) Es gibt nur noch keine Login-Daten, dafür ist die Telefonanlage derzeit so fehlerhaft programmiert, daß selbst Auslandsgespräche kostenlos sind. Der Systemadministrator ist wahrscheinlich kurz vor der Einlieferung in das letzte freie Zimmer, das es hier gibt.
Hierher zu kommen, war nicht einfach. Ich mußte mich zwar nicht versuchsweise ins Messer stürzen, wie der Quasischwager vor ein paar Wochen, aber die Krankenkasse war hartleibig.
Kasseso: Unser Gutachter findet nicht, daß es ihnen schlecht geht.
Ickeso: Mir geht es aber sehr schlecht!
Kasseso: Ja, das höre ich auch, aber unser Gutachter sagt… (s.o.) Sollte es ihnen trotzdem schlecht gehen, haben sie vertragsgemäß freie Krankenhauswahl, wobei wir nicht garantieren können, daß wir die Kosten übernehmen.
Ickeso: Was heißt das jetzt?
Kasseso: Gehen sie in das nächste Akut-Krankenhaus, wenn es ihnen nicht gut geht und der behandelnde Arzt dazu rät!
Ickeso: Das ist eine psychosomatische Privatklinik bei mir um die Ecke, die hat Akutstatus.
Kasseso: Da kann ich ihnen die Kostenübernahme nicht garantieren. Da müssen wir prüfen, ob das nötig war.
Ickeso: Was soll ich denn jetzt machen?
Kasseso: Keine Ahnung.
Ich legte in etwas desolater Verfassung auf und greinte noch was von Natur und bis zum Horizont schauen können. Deshalb rief mein Doc noch eine Klinik im Brandenburger Umland an, eigentlich ein Laden, der auf Sucht und Entzug spezialisiert ist. Man ist halbinteressiert, weil ich nicht saufe. Akute Einlieferung ist möglich, aber nur unter der schriftlichen Anerkennung, ggf. 4.500 Tacken selbst tragen zu müssen für die ersten 10 Tage, bis die Kasse ja oder nein sagt.
Mittlerweile sitze ich schweißnass und zitternd in der Ecke. Wir finden eine Klinik in Berlin, die keinen gemischten Patiententrakt* hat.
Ich fahre am Nachmittag hin und sehe sie mir an. Angenehmer Oberarzt, gute Räume. Zweibettzimmer. Für einen Menschen, der es seit Wochen vermeidet, vor die Tür zu gehen und selbst das Gespräch mit der eigentlich sehr netten Putzfrau als Anstrengung empfindet, der blanke Horror. Nach dem Rüdersdorf-Erlebnis habe ich immer den Aufschlag für das Einzelzimmer bezahlt. Der hier aber extrem teuer ist, dazu die langen Dauer des Aufenthalts, das ist unmöglich.
Übrigens ist das Berliner Krankenhaus 15% teurer im Tagessatz als der Zauberberg. Das ist Wirtschaftlichkeit.
Ich ziehe noch einen Tag eine Schleife. Jammernd, kreideweiß, panisch, mit der Litanei: Ich kann nicht in Gegenwart von eines fremden Manschen schlafen! Ich kann mich nicht entspannen, wenn zwei Meter neben mit jemand ist, den ich nicht kenne und nicht kennen will und der womöglich zu mir Kontakt aufnimmt. Ich brauche ohnehin Tage, um aufzutauen und mich an Menschen auf dem Gang oder in Veranstaltungen zu gewöhnen. Ich kann nicht in Gegenwart fremder Menschen essen, von Badbenutzung ganz zu schweigen. Das ist für mich äußerster Streß.
Nach einem durchheulten Abend kapituliere ich. Ich packe meine Sachen und lasse mich in die Klinik fahren.

Ich bin den ganzen Tag steif wie ein Brett. Nichts, wo ich mich verkriechen kann. Die alte Dame in meinem Zimmer wird von mir geradeheraus abgebügelt. Nach der Begrüßung überfällt sie mich sofort mit jammernder Stimme: „Geht es Ihnen auch so schlecht?“ Ich sehe einen Dämon mit geöffnetem Rachen auf mich zurasen. Zuhören und selbst berichten müssen, nie wieder für sich sein können, eine Altfrauenlebensgeschichte anhören müssen.
Ich kontere: „Nehmen sie es bitte nicht persönlich, ich bin derzeit sehr ungesellig und werde nicht viel reden.“
Sie dreht ab und jammert nur noch leise vor sich hin. Ich hasse sie trotzdem. Sie ist starke Raucherin, riecht sehr danach und hat aus alter Rauchergewohnheit, obwohl man im Zimmer selbstverständlich nicht rauchen darf, den ganzen Tag das Fenster offen.
Ich fühle mich ohnehin nicht wohl. In den letzten Tagen wanderte der Herpes durch meinen Körper, das Zahnfleisch blutete bei der leisesten Berührung und heute morgen erwachte ich mit Schnupfen und Kopfschmerzen.
Ich rede nicht mehr ironisch-liebevoll mit mir selbst, was ich sonst im Stillen oft tue. Ich wüte nur noch laut und leise: Fuck! Kack! Mist!, wenn irgendwas nicht klappt. Ich liege auf meinem Bett und versuche, wenigstens mit geschlossenen Augen etwas für mich zu sein. (Am Tag in Klamotten auf dem Bettzeug liegen, fürchterlich!) Ich brauche etwas, das mir gehört, am liebsten eine Decke. Gott sei Dank habe ich den kleinen häßlichen Bettgefährten vom Kind und den tibetanischen Yakwollschal mitgenommen.
Man läßt mich in Ruhe bis auf ein Gespräch, bei dem mir zwei junge Ärzte und der Professor gegenübersitzen. Der Professor erfüllt sämtliche Psychiaterklischees. Weißer Bürsten-Bart, den man nur anstarren kann. Er verliert sich gedehnt in Sätzen, bis man kurz davor ist, sie zu beenden und dann kriegt er doch noch den Bogen. Die anderen Patienten haben Verpflichtungen. Weihnachtsmarktbesuch. Nordic Walking (nur über meine Leiche!). Kochgruppe (mit Dr. Ötzi-Fertigkuchen). Andere geheimnisvolle Termine werden sich mir noch enthüllen. Gedächtnisgruppe. Suchtgruppe. Im Aufenthaltsraum steht ein Riesenfernseher und eine wii. ES steht immer mal jemand davor und das nervtötende Bling-Bling-Bieep! ertönt.

*Das mag versnobt erscheinen, aber seit meiner ersten OP im Kreiskrankenhaus Rüdersdorf, als in das Zweibettzimmer immer noch über Nacht „Ambulantpatienten“ geschoben wurden, das Klo übern Gang war und das Waschbecken in der Ecke bestehe ich auf den Leistungen, die ich bezahle.