in statu quo res erant ante bellum

Gerade ich hab immer geglaubt, mir passierts nie. (Verhochdeutschter Konstantin Wecker, ich weiß.)
Aber es war bisher immer alles gut gegangen. Nach dem Studium hatte ich umgeschaltet, von der verträumten Kunstbegleiterin zur Kunst-Managerin, die eines nie wollte, nämlich bei Behörden und Sponsoren um Subventionen betteln.
Nach kurzer Lernzeit startete ich durch. Zwei, drei Jahre stand ich total unter Strom. Der Erfolg kickte. Ich entwickelte einen ungeheuren, von mir nicht gekannten Ehrgeiz. Das war die Zeit, in der ich mich an niemandem maß, sondern meine eigenen Maßstäbe aufstellte. Mein Credo war: ICH. WILL.
Ich wollte es denen beweisen, die an mir zweifelten. Denen, die mir Vertrauen schenken und mich förderten, wollte ich mich dankbar zeigen. Und ich wollte keiner dieser Jammerossis sein, die Neufünfland bevölkerten. Denn das hätte wiederum bedeutet, subventionsabhängig zu sein. Niemals. Weder in der Kunst noch im Leben.
Ich hielt naturgemäß für faul und träge, deshalb versuchte ich, mich in Schwung zu halten. Ich lief morgens 3.000 Meter durch den Wald, bei möglichst jedem Wetter. Im Sommer schwamm ich nach dem Aufstehen 1.000 Meter. Diese totale Wachsein, eigentlich ein permanenter Alarmzustand, versetzte mich in die Situation, es sofort zu merken und hart gegenzuhalten, wenn mich jemand bei Verhandlungen über den Tisch ziehen wollte, bzw. schnellstens einsatzbereit und aufmerksam zu sein, wenn einer meiner Klienten Unterstützung brauchte

Nach drei, vier Jahren, als alles lief, kamen die ersten Abnutzungserscheinungen. Meine Schilddrüse schien runterzufahren, denn ich war ständig müde. Außerdem hatte ich sein vergripptes Gefühl in Hals und Kopf und war oft erkältet.
Das Schilddrüsenhormon half erst einmal, ich war wieder fit. Der Erfolg des Sommers 1999 tat das seine dazu. Mir ging es blendend, ich arbeitete wie ein Vieh, kam mit 3-4 Stunden Schlaf aus, sportelte und gewann wie nebenbei noch einen Schwimmwettbewerb. Im Herbst setzte meine Ärztin die SD-Hormon-Dosierung runter und ich segelte langsam ins Schwarze. Das heißt, ich wurde zwar ruhiger und war weniger hibbelig, aber Monat für Monat fehlte es mir an Biß. Mir wurde die Ursache nicht richtig klar. War ich erfolgsverwöhnt, zu satt, zu routiniert? Ich konnte mich über keinen Erfolg mehr freuen und noch mehr fürchtete ich ein plötzliches Versagen.
Ich hatte meinen Job so organisiert, daß ich immer wichtig und so gut wie nicht ersetzbar war. Das ist gut für einen Menschen, der selbst ungern auf andere Menschen zugeht. Er zahlt allerdings einen hohen Preis, wenn zum Gejagten seiner eigenen Jobstrukturen wird.
Ich fühlte mich immer gleichgültiger und war Auseinandersetzungen immer weniger gewachsen. Über allem, das schief lief, stand sofort der Satz: Du bist schuld! Ich machte nicht einmal den Versuch, nach der systemischen Ursache von Fehlern zu forschen, sondern arbeitete weiter.
Die Liebesgeschichte, die ich um die Jahrtausendwende begann erwies sich darüber hinaus als sehr anstrengend, um nicht zu sagen destruktiv. Der Mann, der mich gefunden hatte, war genauso extrem liebevoll und fürsorglich wie wortbrutal und eifersüchtig. Ich hingegen lebte den Traum von der Errettung eines verkannten Begabten. Traum wohlgemerkt. Ich hatte geglaubt, wenn wir zusammen arbeiten (da wir denselben Beruf haben und uns schon lange kannten), wird er durch die Verantwortung für seinen Arbeitsbereich in einem kleinen Familienunternehmen ruhiger und kalkulierbarer. Je mehr er in seine Aufgabe startete, desto minderwertiger fühlte ich mich. Er hatte das, was ich nicht hatte: Kontaktfreude, Chuzpe und liebte es in der Öffentlichkeit herumzuschwirren. Ich bemerkte nicht, daß ich trotzdem noch den überwiegenden Teil der Arbeit leistete, denn er war nicht streßresistent, nur begrenzt lernfähig und extrem launisch bis zur Übergriffigkeit. Aber ein guter Scout und Erstkontakter. Es gab Zeiten, in denen ich kaum noch in der Lage war, den Mund aufzumachen oder ein Telefonat zu führen, weil mein Selbstbewußtsein und mein Arbeitselan völlig erodiert waren. Ich glaubte, ich wäre satt und faul geworden, weil ich mich über keinen Erfolg mehr freuen konnte.
2001 bekam ich eine Menge öffentliche Anerkennung für meine jahrelange beharrliche Arbeit und heulte hinter den Kulissen bei jeder Gelegenheit über die Demütigungen, die ich im Alltag einsteckte. Zwei Jahre lang löste ein Infekt den nächsten ab: monatelange Magen-Darm-Probleme, eine Angina mit zwei Rückfällen, die mich für Wochen mit Telefon und Notizblock ans Bett fesselte und Erkältungen im 14-Tages-Modus. Ich begann, bei längeren Autofahrten auf den Beifahrersitz einen Schlafsack mit mir zu führen, hielt alle zwei Stunden an und schlief eine Stunde. Mittags wankte ich aus dem Büro und warf mich aufs Sofa. Dort schlief ich, bis mich jemand wachrüttelte, weil meine Telefonliste in der verbleibenden Bürozeit kaum abzuarbeiten war. Saß ich bei Festivals im Kino, schlief ich sofort nach Verlöschen des Saallichts ein. Ich habe in dieser Zeit dutzende Filme nur auf der Tonspur erlebt.
Ich wurde dick, mein Gesicht schwoll teigig an. Sport war nur noch eingeschränkt möglich. Ich hatte mir beim Joggen das Knie vertreten und ging nicht zum Orthopäden. Beim Schwimmen wurde ich im Handumdrehen krank. Wenn ich zum Arzt ging, war nichts zu finden. Alle Werte waren angeblich ok. Die Hinweise, ich solle nicht so viel arbeiten und mich für unentbehrlich halten, ignorierte ich. Schließlich war ich unentbehrlich.
Selbst eine schwere körperliche Krankheit brachte mich davon nicht ab. Kurz nach der OP arbeitete ich schon wieder. Rekonvaleszenz ist etwas für Schwächlinge und Angestellte.
Mittlerweile wußte ich durchaus, daß ich mich Stück für Stück aus meinen selbstgeschaffenen Abhängigkeiten herausarbeiten mußte. Es dauerte lange. Erst die Trennung von Tisch und Bett, dann die Trennung der Arbeitsbereiche, denn ich war der Meinung, daß das Problem nur außerhalb von mir gelöst werden mußte.
Zeitgleich endeten meine Mutterschaftspflichten, das Kind ging mehr und mehr aus dem Haus. Ich war plötzlich frei und ungebunden. Was mich dazu animierte, mich sofort in obsessive Liebes- und Lebensgeschichten zu stürzen. Meine Energie reichte für zwei Jahre Arbeit und paralleles Privatleben auf der Überholspur. Dann hatte ich mein Pulver verschossen und mich in meinen üblichen Abhängigkeiten so eng verstrickt, daß ich mehr und mehr Anstrengung aufbringen mußte, meine Rolle der erfolgreichen, attraktiven und lebenslustigen Geschäftsfrau zur Zufriedenheit aller zu spielen.
Ich hatte meinen Jobbereich sehr gut optimiert, es hing nicht mehr so viel Arbeit daran, aber selbst die blieb nach und nach auf der Strecke. Erst, weil ich nicht mehr parallel powern konnte und mich auf mein Privatleben konzentrierte, später erlahmte mein Elan auf allen Gebieten.
Ich wurde aggressiv, ängstlich, wütend, träge – alles zugleich. Ich begann, meine Aufgaben vor mir herzuschieben. Etwas, das für mich früher undenkbar gewesen wäre. Ich lebte nur noch auf kurze Wohlfühlmomente hin. Ein gutes Essen, guten Wein, ein netter Abend, etwas Anerkennung oder Streicheleinheiten. Doch selbst das wurde immer rarer, je mehr mein beruflicher Erfolg nur noch aus vergangenen Taten und gutem Ruf bestand und ich selbst mich jeden Morgen wie eine zerfallene Gliederpuppe zusammenbaute und in Haltung brachte.
Im Grunde hatte ich nur eine neue, zugegeben sehr bunte Runde in meiner alten Wertewelt gedreht. Amüsant, aber kräftezehrend.
Wenn Erfolg einmal erlebt und Geschaffenes genossen ist, wenn Verpflichtungen in den Hintergrund treten, dann ist es an der Zeit, das System neu aufzusetzen. Bewährtes mitnehmen, Verbrauchtes wegwerfen, Neues testen. Doch ich hatte Angst.