Wieder ein Herbst. Noch ist es nicht hoher November, die Bäume tragen noch Blätter. Erst in einigen Wochen geben die kahlen Zweige wieder den Blick auf die Kriegszerstörungen frei.
Noch halte ich mich.
Ich habe mir selbst ein Wiederaufbauprogramm verordnet. Belastbarkeit testen, ohne Katastrophen hervorzurufen. 15 Stunden abhängiger Arbeit pro Woche in den Diensten eines Freundes. Arbeitsvorgänge, die mir aus meinem alten Beruf bekannt sind. Es geht gut, die alten Reflexe funktionieren. Das Telefon klingelt, ich schalte den Scheinwerfer an, charmiere und tue. Schwerwiegende Fehler und Versagen, wenn sie denn überhaupt passieren, werden mir freundlich nachgesehen. Dafür bin ich dankbar.
Am Abend komme ich nach Hause und da, wo andere den Rest des Abends vor dem Fernseher sitzen, zappe ich mich durch das Internet. Bei anderen Anforderungen werde ich böse und ungerecht. Ich hinke durch das Leben, den Blick konzentriert auf meine Füße gerichtet. Ich bin eine Invalidin. Wen ich anremple, der mag es mir nachsehen. Ich versuche doch nur, mich fortzubewegen.
Bei größeren Anforderungen, die mich so betreffen, dass ein klares „Nein!“ kaum funktioniert, weil sie mein Selbst- und Fremdbild völlig demontieren würden, packe ich die aufglühende Angst in gepanzerte Hochsicherheitscontainer, auf das sie mir nicht in einer Kettenreaktion aus der Kontrolle gerät. Es gibt Tage, da bin ich umstellt von diesen Containern, hoffe, dass sie mir nicht zerbrechen und mein Leben und meine Mitmenschen kontaminieren.
Der Mann an meiner Seite hat mir mehr als ein Jahr Ruhe geschenkt. Nun geht der Vorrat langsam zur Neige. Er will sein Leben verändern, was auch mein Leben verändern wird. Warten wir ab, wie weit meine Kraft reicht, mitzuziehen.