Auch wenn die Schilderungen meiner Dünnhäutigkeit erschrecken mögen, ich fühle mich wohl und betrachte meinen Aufenthalt hier als großes Geschenk. Derzeit koste ich meine Kasse so viel wie ein Chemo-Patient.
Heute leistete ich mir den Luxus, morgens zwei Stunden vom Fenster aus zuzusehen, wie der Schloßpark langsam zuschneite. Vor von mir verwandelte sich die Caspar-David-Friedrich-Landschaft in ein Breughel-Gemälde und links, rechts und hinter mir versank die Stadt im Verkehrchaos. Ich bekam davon nichts mit.
Ich lande derzeit weich und sinke in immer tiefere Entspannung. Endlich! Zwei Jahre lang war das mit vielen Tränen verbunden, nun beginne ich endlich wieder zu lachen. Vielleicht ist es auch meine große innere Uhr. Die ganz für mich reservierte Urlaubszeit rückt näher, wie jedes Jahr, in der ich auf keinen Anruf reagieren muß. Ich habe die komischsten Übersprungreaktionen, bin albern, schadenfreudig und plappere überall dazwischen wie eine Schulgöre. Um die Energie zu kanalisieren, stelle ich mich nach dem Dunkelwerden in die Lehrküche und backe Plätzchen. Schokokekse, Schwarz-Weiß-Gebäck, Vanillekipferl. Sie sind ein gutes Bestechungsgeschenk für verägerte oder genervte Mitpatienten und Schwestern – wobei das noch im scherzhaften Bereich bleibt. Die Putzfrauen freuen sich wie die Schneekönige über ihre Keksteller. Manchmal spendieren ihnen die Schwestern noch einen Kaffee. Ich möchte nicht wissen, wie schlecht sie bezahlt werden.
Der Zauberberg ist fast paritätisch mit Männern und Frauen belegt. Trotzdem wird kaum geflirtet. Die jüngeren sehen sich manchmal mit großen Augen an und hocken lange zusammen, aber mehr Nähe verbietet die ständige Beobachtung. Auch ich habe kein Interesse. Außerdem dominiert momentan sowieso meine männliche Seite, da brauche ich Kumpels zum Pferdestehlen und mache einen großen Bogen um die Heulmimis. Der schwule ältere Herr, der mich so gern zum Klinikvamp aufbauen möchte, hat schlechte Karten. Dabei sind in den unteren Jahrgängen bis hin in meine Atersstufe richtige Schnuckelchen darunter. Wahrscheinlich vor allem durch die Medikamente sind alle recht abgetörnt. Die Männer zweifeln an ihrer Potenz und die Frauen schaffen es gerade mal, sich etwas ordentliches anzuziehen.